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DISKUSSIONSPAPIER
VERFAHRENSRECHTE DES BESCHULDIGTEN
IM EUROPÄISCHEN RAUM
Art. 1: Information
über Rechte
Art. 2:
Unschuldsvermutung
Art. 3:
Recht zu schweigen
Art. 4:
Recht auf Verteidigung
Art. 5:
Information über Beschuldigungen
Art. 6:
Recht auf Freiheit
Art. 7:
Schutz der individuellen Freiheit und Privatsphäre
Art. 8:
Recht auf körperliche Unversehrtheit
Art. 9:
Recht auf Überprüfung strafprozessualer Maßnahmen
Art. 10: Anspruch
auf ein faires Verfahren
Art. 11: Nulla
poena sine lege
Art. 12: Ne
bis in idem
Art. 13: Meistbegünstigungsklausel
bei grenzüberschreitender Zusammenarbeit
Art. 14: Gemeinsame
Verantwortung
Art. 15: Effektiver
Rechtsschutz
Art. 16: Recht
auf Strafverfolgung durch nur eine Strafgewalt
Art. 17: Recht
auf mehrnationale Verteidigerteams
Art.
1 Information über Rechte
1. Jeder, der als Beschuldigter von der Anklagebehörde oder von
Ermittlungsbehörden festgehalten wird, ist vor seiner Befragung
in einer Sprache, die er spricht und versteht, über seine Rechte, mindestens
jedoch über das Folgende zu informieren:
a) die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung;
b) das Recht, sich selbst zu verteidigen oder sofort den Beistand eines Verteidigers
seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung
eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich und unverzüglich den
Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten;
c) das Recht, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen,
wenn der Beschuldigte die Verhandlungssprache der Ermittlungsbehörden
oder des Ge-richts nicht versteht oder nicht sprechen kann;
d) das Recht zu schweigen, ohne daß dieses Schweigen bei der Feststellung
über Schuld oder Unschuld in Betracht gezogen wird;
e) die Möglichkeit, dass jede Aussage, die der Beschuldigte macht, aufgezeichnet
und als Beweis gegen ihn verwendet werden kann.
2. Die Befragung eines Beschuldigten darf ohne Anwesenheit eines Verteidigers
nicht durchgeführt werden, es sei denn, der Beschuldigte hat ausdrücklich
auf einen Verteidiger verzichtet. Sollte der Beschuldigte im Falle eines
derartigen Verzichts zu einem späteren Zeitpunkt den Beistand eines
Verteidigers ausdrücklich wünschen, muß die Befragung unmittelbar
unterbrochen werden und darf erst dann fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte
einen Verteidiger hat oder ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden
ist.
3. Der Verstoß gegen eine der Regelungen dieses Artikels führt
automatisch zu einem absoluten Beweisverwertungsverbot der unter dem Verstoß
getroffenen Aussa-ge des Beschuldigten und darf nicht gegen ihn verwendet
werden.
Quellen:
Art. 55 Abs. 2 ICC-Statute, Rule 42 Rules of Procedure and Evidence (ICTY/ICTR)
Art. 2 Unschuldsvermutung
1. Jeder gilt als unschuldig, solange seine Schuld nicht durch eine rechtskräftige
Verurteilung nachgewiesen ist.
2. Die Beweislast für die Schuld des Angeklagten liegt bei der Anklagebehörde.
3. Für eine Verurteilung des Angeklagten muß das erkennende Gericht
von der Schuld des Angeklagten so überzeugt sein, dass kein vernünftiger
Zweifel besteht.
Quellen:
Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 IPbpR, Art. 48 Abs. 1 Europäische
Grundrechtscharta, Art. 66 ICC-Statute
Art. 3 Recht zu schweigen
Jeder hat das Recht zu den gegenüber ihm erhobenen Vorwürfen zu
schweigen, oh-ne dass die Ausübung des Rechtes zu Schweigen Einfluß
auf die Feststellung von Schuld oder Unschuld hat.
Quellen: Art. 14 Abs. 3g IPbpR, Art. 55 Abs. 2 b) ICC-Statute
Art. 4 Recht auf Verteidigung
1. Jeder hat das Recht, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger
seiner Wahl verteidigen zu lassen oder für den Fall, dass er keinen
Verteidiger als Beistand hat, unentgeltlich einen rechtlichen Beistand seiner
Wahl zu erhalten, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung verfügt.
2. Der Beschuldigte hat das Recht, in jedem Stadium des gegen ihn gerichteten
Ver-fahrens ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung
zu erhalten. Vor jeder gerichtlichen Entscheidung hat er Anspruch auf rechtliches
Ge-hör. Unmittelbar nach der Festnahme, im übrigen spätestens
mit der Einreichung der Anklageschrift bei dem zuständigen (Vorverfahrens-)Gericht
muß die Anklagebehör-de sämtliches den Beschuldigten belastende
und entlastende Beweismaterial offen legen.
3. Jeder hat Anspruch auf Akteneinsicht über seinen Verteidiger. Für
den Fall der Selbstverteidigung werden dem Beschuldigten Kopien der Verfahrensakte
zur Verfügung gestellt. Bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen
ist in angemessener Zeit vor ihrer gerichtlichen Überprüfung mindestens
Akteneinsicht in die Teile der Verfahrensakte zu gewähren, welche die
Zwangsmaßnahme rechtfertigen sollen.
4. Jeder hat das Recht auf ungestörten Verkehr und Korrespondenz mit
seinem Ver-teidiger. Die für Zwecke der Verteidigung angefertigten Unterlagen
sind beschlagnahmefrei.
Quellen: Art. 6 Abs. 3c EMRK, Art. 14 Abs. 3 IPbpR, Art. 47 S. 2,3 Europäische
Grundrechtecharta, Art. 55 Abs. 2 c, 66 Abs. 1 ICC-Statute
Art. 5 Information über Beschuldigung
1. Jeder, der wegen einer Straftat verfolgt wird, insbesondere eine inhaftierte
Person hat Anspruch darauf, vor Beginn einer Befragung unverzüglich
in einer für ihn ver-ständlichen Sprache in allen Einzelheiten
über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in
Kenntnis gesetzt zu werden.
2. Der Beschuldigte hat ein Recht auf die unentgeltliche Beiordnung eines
Dolmetschers, insbesondere wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts oder
der Ermittlungsbehörden nicht versteht oder sich darin nicht ausdrücken
kann.
Quellen:
Art. 6 Abs. 3 a), e) EMRK, Art. 14 Abs. 3a IPbpR, Art. 55 Abs. 1 c) ICC-Statute
Art. 6 Recht auf Freiheit
1. Jeder hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur
in folgenden Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg
entzogen werden:
a) wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges
Gericht in Haft gehalten wird;
b) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten
wird wegen der Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses
oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen
Verpflichtung;
c) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten
wird zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde,
sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, dass der betreffende eine
strafbare Handlung begangen hat oder begründeter Anlaß zur Annahme
besteht, dass es notwendig ist, den Betreffen-den an der Begehung einer strafbaren
Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu verhindern;
d) wenn es sich um die rechtmäßige Haft eines Minderjährigen
handelt, die zum Zwecke überwachter Erziehung angeordnet ist, oder um
die rechtmäßige Haft eines solchen, die zwecks Vorführung
vor die zuständige Behörde verhängt ist;
e) wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle
für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank,
Alkoholiker oder rauschgiftsüchtig ist;
f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten
wird, weil er daran gehindert werden soll, unberechtigt in das Staatsgebiet
einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder
Auslieferungsverfahren betroffen ist.
2. Jeder, dem seine Freiheit entzogen worden ist, muß menschlich und
mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden.
3. Beschuldigte sind von Verurteilten getrennt unterzubringen und so zu behandeln,
wie es ihrer Stellung als Nichtverurteilte entspricht; jugendliche Beschuldigte
sind von Erwachsenen zu trennen und es hat so schnell wie möglich eine
Hauptverhandlung stattzufinden.
4. Der Strafvollzug schließt eine Behandlung der Gefangenen ein, die
vornehmlich auf ihre Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung
hinzielt. Jugendliche Straffällige sind von Erwachsenen zu trennen und
ihrer Rechtsstellung entsprechend zu behandeln.
5. Jede festgenommene oder in Haft gehaltene Person muß unverzüglich
einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher
Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Er hat Anspruch
auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist oder auf Haftentlassung während
des Verfahrens. Die Freilas-sung kann von der Leistung einer Sicherheit für
das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.
6. Jeder, der seiner Freiheit durch Festnahme oder Haft beraubt ist, hat
das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht unverzüglich
über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im
Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.
7. Jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder
Haft betroffen worden ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.
Quellen: Art. 5 EMRK (wörtlich, ohne Abs. 1 e „Landstreicher“), Art.
10 IPbpR, Art. 47 S. 1 Grundrechtecharta
Art. 7 Schutz der individuellen Freiheit und
Privatsphäre
1. Jeder hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner
Woh-nung und seiner Korrespondenz.
2. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung
dieses Rechts ist nur statthaft, wenn dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen
ist, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen derartigen Eingriff
erfüllt sind und dieser nach den Maßstäben einer demokratischen
Gesellschaft notwendig und angemessen ist.
3. Im Falle einer Festnahme sind die Angehörigen des Festgenommenen
unverzüglich über die Festnahme zu informieren.
Quellen:
Art. 8 EMRK
Art. 8 Recht auf körperliche Unversehrtheit
Niemand darf Zwang, Nötigung oder Drohung, Folter oder einer anderen
Form grau-samer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe
unterworfen werden. Die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung
darf nicht beeinträchtigt werden.
Quellen:
Art. 3 EMRK, Art. 7 IPbpR, Art. 55 Abs. 1 b) ICC-Statute, Anti-Folter-Konvention
1984
Art. 9 Recht auf Überprüfung strafprozessualer
Maßnahmen
Jeder hat Anspruch darauf, dass strafprozessuale Maßnahmen, die ihn
mittelbar oder unmittelbar in seinen Rechten und Freiheiten verletzen, durch
ein unabhängiges, unparteiisches und gesetzlich vorgeschriebenes Gericht
in angemessener Zeit auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft
werden.
Quelle:
Art. 2, 3, 5 Abs. 4, 13 EMRK
Art. 10 Faires Verfahren
1. Jeder hat Anspruch darauf, dass seine Sache öffentlich und innerhalb
angemessener Frist vor einem unabhängigen, unparteiischen, auf Gesetz
beruhenden Gericht verhandelt wird, das über die Stichhaltigkeit der
gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage entscheidet.
2. Der Beschuldigte und sein Verteidiger haben das Recht, an der Hauptverhandlung
teilzunehmen und zu sämtlichen vorgelegten Beweisen und Stellungnahmen
in angemessener Zeit Stellung zu nehmen.
3. Der Beschuldigte und sein Verteidiger haben das Recht, Fragen an Belastungszeugen
zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen
unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.
Quellen: Art. 6 Abs. 3 d EMRK, Art. 14 Abs. 1,3 IPbpR, Art. 47 S. 2 Grundrechtecharta
Art. 11 Nulla poena sine lege – Keine Strafe
ohne Gesetz
Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die
zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht
nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt
der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.
Quelle: Art. 7 Abs. 1 EMRK, Art. 15 IpbpR, Art. 49 Grundrechtecharta
Art. 12 Ne bis in idem
Niemand darf wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz rechtskräftig
verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut
verfolgt oder bestraft werden.
Quellen: Art. 14 Abs. 7 IpbpR, Art. 50 Grundrechtecharta der EU , Art. 54
SDÜ, Art. 20 Abs. 1 ICC-Statute
Art. 13 Meistbegünstigungsklausel bei grenzüberschreitender
Zusammenarbeit
Keines der vorgenannten Rechte darf nur deshalb in geringerem Maße
gewährt oder in höherem Maße eingeschränkt werden, weil
in einem bestimmten Strafverfahren die Behörden oder Gerichte auch eines
anderen Staates tätig werden sollen oder müssen.
Art. 14 Gemeinsame Verantwortung
In Fällen des Art. 13 tragen alle beteiligten Staaten die grundrechtliche
Verantwortung für grenzüberschreitende Maßnahmen.
Art. 15 Effektiver Rechtsschutz
Effektiver Rechtsschutz für betroffene Personen muss vor der Leistung
einer grenzüberschreitenden Massnahme oder der transnationalen
Vollstreckung einer solchen möglich sein.
Art. 16 Recht auf Strafverfolgung durch nur eine
Strafgewalt
Besteht für eine Straftat eine oder mehrere weitere Strafgewalten, so
gilt Art. 15 auch für die Festlegung einer einzigen Strafgewalt, die
ausgeübt werden soll.
Art. 17 Recht auf mehrnationale Verteidigerteams
In Fällen des Art. 13 hat jeder Betroffene/Verfolgte das Recht auf Verteidigerteams
aus den beteiligten Staaten.